Minnesklaven auf Gemälden

Auf den ersten Blick scheint es, dass Minnesklaven auch in den barocken Gemälden des Rathauses ein Thema sind. Beim Betreten des Ratssaals ist direkt über der Tür die von der Banklehne bekannte Geschichte von Simson und Delila zu sehen (rechts). Links davon am Fenster ist Herodias mit dem Kopf Johannes’ des Täufers dargestellt. Tatsächlich bestellte der Rat, als das Interieur des Ratssaals 1667 erneuert wurde, von Johann Aken Lünettengemälder, von denen die vorgenannten bereits das bekannte Thema behandeln. Im Gegensatz zur spielerischen Mehrdeutigkeit der mittelalterlichen Symbole ist die Botschaft hier aber eindeutig moralisierend. Diese Veränderung war mit der Reformation verbunden, die bereits in den 1520er Jahren Tallinn erreicht hatte. Wenn Minnesklaven im Mittelalter häufig mit einem satirischen Unterton oder sogar leicht spöttisch dargestellt wurden – ob gegenüber den Verführerinnen, deren Opfern oder gesellschaftlichen Einstellungen, so tragen die Gemälde des Rathauses aus dem 17. Jh. eine deutlich lutherische Moral. Deren Inhalt ist aber nicht mehr die Warnung vor dem Charme und der fleischlichen Liebe, sondern vor menschlichen Schwächen und deren Ausnutzung. Im Gegensatz zur mittelalterlichen christlichen Philosophie, die im Sex nur das Mittel für die Fortsetzung des Geschlechts sah, verneinte die lutherische Lehre weibliche Sexualität nicht und hielt Bettfreuden für Ehepaare für gesund und sogar nötig. Zugleich wurden Anforderungen gegen Ehebruch, Lasterhaftigkeit und Prasserei strenger. Das erste Paar der Lünettengemälder im Ratssaal verurteilte vor allem die Unterwerfung der fleischlichen Leidenschaft und den Ehebruch und ermahnte zum tugendhaften Verhalten und zur Beherrschung der Leidenschaft. Damit die Botschaft für die Zuschauer klarer wird, gibt es im unteren Teil der Gemälde deutschsprachige (Deutsch war die Sprache der Verwaltungsarbeit des Tallinner Rats bis zum Ende des 19. Jh.) moralisierende Verse – lehrende Worte statt der mittelalterlichen Symbole war auch eines der Zeichen der neuen Zeit und des neuen Glaubens.  Unter der Macht des lutherischen Schwedens, welche schon seit 1561 in Tallinn galt, und in Erwartung von König Karl XI. versuchte auch der Rat seine hohe Moral und Grundsätze durch die Themen des neuen Interieurs auszudrücken.

Es sind zwei aufeinanderfolgende Szenen dargestellt: Links in der Ecke der Geburtstag von König Herodes und die Tochter von Herodias beim Tanzen, rechts der bereits hingerichtete Johannes der Täufer und sein abgeschlagener Kopf auf dem Teller in der Hand von Herodias. Beim Malen der letzten hat sich der Künstler ein direktes Vorbild vom gleichnamigen Gemälde von Rubens genommen.

Tod von Johannes dem Täufer

Das linksseitige Gemälde beruht auf der Geschichte des Neuen Testaments „Tod von Johannes dem Täufer”.

Die Tochter von Herodias, die den König an seinem Geburtstag mit einem erotischen Tanz verführt, ist in der Bibel nicht namentlich erwähnt. Unter dem Namen Salome wurde sie schon in den im 1. Jh. n. Chr. veröffentlichten jüdischen Geschichtsschriften erwähnt, aber im 19. Jh. machten die Schriftsteller Gustave Flaubert und Oscar Wilde Salome bekannt. Salome wurde zum Symbol einer verführenden und gefährlichen Frau, ihre Mutter Herodias ist aber eine listige Intrigantin, deren Begierde nach Rache Johannes den Täufer verdirbt. Diese Geschichte ist eine Warnung für Männer sowohl vor deren erotischen Leidenschaften als auch vor der verderbenden List der Frauen, die zu leichten Versprechungen und fatalen Folgen führen. Ein Herrscher – wie auch ein Ratsherr – soll nüchtern und tugendhaft sein, um seine Versprechungen und Entscheidungen verantworten zu können.

Die Verurteilung von Johannes dem Täufer wegen Ehebruchs von Herodes und Herodias, die dem Propheten sein Leben kostete, trägt auch die lutherische Moral gegen Lasterhaftigkeit und Prasserei und ermahnt wie Johannes zur Buße und Tugendhaftigkeit.

Tod von Johannes dem Täufer in der Bibel

(Markusevangelium 6 und Mathäusevangelium 14)

Zu Lebzeiten von Johannes dem Täufer (1. Jh. n. Chr.) war Israel unter römischer Macht. Johannes war der von Gott bestimmte Bote, der das Kommen von Jesus und die Ankunft des Himmelsreiches prophezeite. Johannes der Täufer ermahnte die Menschen zur Buße und taufte Büßer im Fluss Jordan. (Das Taufen bedeutet auf Griechisch Eintauchen, also bedeutete das Eintauchen ins Wasser die Läuterung von der Sünde und Buße, aber auch das Annehmen des Glaubens.)

Von der Kritik Johannes’ blieb auch Herodes Antipas, der stellvertretende Herrscher von Galiläa nicht unberührt, dessen Zusammenleben mit Herodias, seiner Schwägerin, von Johannes dem Täufer verurteilt wurde. Da ließ Herodes Johannes den Täufer festnehmen, aber die Reaktion des Volkes fürchtend hatte er keinen Mut, um ihn hinzurichten. Gegen Johannes hegte aber Herodias, die ungesetzliche Frau des Herrschers, einen Groll und wollte seinen Tod. Diese Möglichkeit eröffnete sich am Geburtstag des Königs, als Herodes ein prächtiges Fest organisierte. Die Tochter von Herodias tanzte für den König und die Gäste und ihr Tanz fesselte den König so, dass er in seiner Begeisterung dem Mädchen alle ihre Wünsche zu erfüllen versprach, „wenn es mein halbes Königreich wäre”. Nach Anstiftung durch die Mutter verlangte das Mädchen den Kopf des Täufers Johannes auf einem Teller. Herodes wurde traurig, verstand aber, dass er ein vor den Gästen geleistetes Versprechen nicht brechen kann. Er schickte den Henker ins Gefängnis und befahl ihm, den Kopf von Johannes dem Täufer abzuschlagen.

Simson und Delila auf dem Gemälde

Die Moral des Gemäldes „Simson und Delila” (LINKPIIBLILOOLE!) daneben wird eindeutig durch die Verse unter dem Gemälde ausgedrückt:

„Hat Simson früher tausende besiegt,
hier aber hat die Hinterlist der Frau ihn gefesselt.
Wieso fragst du, ist er schuld – ja, warum gab er das kund,
worüber er schweigen sollte. Deshalb stirbt er und niemand trauert ihm nach.”

Nach den Versen ist ein der Liebesleidenschaft verfallener Mann selbst keines Mitleids wert.

In der rechten unteren Ecke des Gemäldes wird der Einsturz des Tempels bzw. die letzte Heldentat Simsons dargestellt, als er zu Gott zurückkehrt und seine Kraft zurück erhält, die Stützsäulen des Tempels umstieß und mit den Philistern umkommt.